Sabine Bangert

 

Akt 5: Fokus Bildende Kunst

Das fünfte Werkstattgespräch zur Reform der Kulturförderung in Berlin fand am am 29.9.2014 im Institute for Contemporary Art Kunst-Werke Berlin e.V. statt.

Sabine Bangert im Gespräch mit dem Paten des Abends und der Gastgeberin:
Stéphane Bauer (Leiter des Kunstraumes Kreuzberg/Bethanien), Ellen Blumenstein (Chefkuratorin des Institute for Contemporary Art Kunst-Werke Berlin e.V.)
sowie weiteren ExpertInnen der Bildenden Kunst in Berlin:
Oliver Baurhenn (Künstlerischer Leiter des CTM – Festival for adventurous music and related arts, auch "club transmediale" und Mitbestreiter des Projektraums General Public), Bettina Klein (Berliner Künstlerprogramm des DAAD, Artists-in-Berlin Programme – Abteilung Bildende Kunst), Matthias Mayer (Koordination Netzwerk freier Berliner Projekträume und –initiativen), Nora Mayr (Kuratorin Insitu – Space for Contemporary Art und Gründerin des Project Space Festival Berlin), Herbert Mondry ((HM), 1. Vorsitzender des Vorstands des berufsverbandes bildender künstler berlin, bbk Berlin), Professorin Dr. Judith Siegmund, Universität der Künste Berlin und im Vorstand des Deutschen Künstlerbundes, Heidi Sill (Künstlerin und Aktivistin im Rahmen von Haben und Brauchen und auch im Vorstand des Deutschen Künstlerbundes), Julia Wallner (Direktorin Georg Kolbe Museum, seit 2013 neue Leiterin), Hergen Wöbken (Geschäftsführer Institut für Strategieentwicklung)

Diskussionsthemen

  • Wie kann die Arbeit von Ausstellungsorten gesichert werden und welcher Raumbedarf ergibt sich aufgrund neuer Präsentationsformate?
  • Welche Maßnahmen sind notwendig, damit Museen und öffentliche Galerien ihrem Auftrag zum Erhalt und Aufbau von Sammlungen sowie einem Ausstellungs- und Programmangebot gerecht werden können?
  • Welche Bausteine brauchen wir in der KünstlerInnenförderung?
  • Welche Erwartungen haben wir an Kunstfestivals und Veranstalungen wie die "art week" und welche Finanzierungsmodelle brauchen wir hier?
  • Wie können Kooperationsstrukturen zwischen KünstlerInnen, Museen und Galerien gestärkt werden?
  • Welcher Handlungsbedarf besteht hinsichtlich eines verantwortungsvollen Umgangs mit Nachlässen und KünstlerInnenarchiven?

Weitere Informationen finden Sie im Flyer zur Gesprächsreihe.

Ergebnisse

"Berlin ist die Stadt der KünstlerInnen, aber sicherlich nicht die der Institutionen"

Ausgangspunkt

  • Bildende Kunst trägt wesentlich zum Renommee von Berlin als Kulturmetropole bei – profitiert aber nicht von der positiven Entwicklung und wird von der kulturpolitischen Förderpolitik wenig beachtet. Dennoch ist die Attraktivität Berlins als Produktionsort für Künstlerinnen und Künstler ungebrochen.  Durch steigende Mieten und Lebenshaltungskosten und das Verschwinden von Freiräumen ist Berlin als Standort für die Bildende Kunst gefährdet.
  • Die Institutionen arbeiten ohne ausreichenden Programmetat.
  • Die Institutionen haben keine eigenen Mittel, um Kooperationen mit Akteuren der freien Szene zu befördern.
  • Ankäufe von Kunstwerken sind nur über Lottomittel möglich.
  • Die Frage des Umgangs mit Schenkungen von Sammlungen ist nicht gelöst.
  • Die öffentliche Künstlerförderung entspricht nicht den aktuellen Begebenheiten in der Kunstproduktion und ist nicht sinnvoll mit den Förderungen der Infrastruktur verknüpft.

Ausstellungen, Ausstellungsformate und Kooperationen

  • Unter der gesamtstädtischen Entwicklung im Bereich der Kulturförderung leiden die KünstlerInnen aber auch die Institutionen dieser Stadt – alle sind konfrontiert mit veränderten Produktionsbedingungen. Eine Konsequenz aus der Perspektive der Institutionen und der KünstlerInnen: Privates Geld wird immer wichtiger. Alle müssen Drittmittel einwerben.
  • Ein Interesse an neuen Kooperationsmodelle ist vorhanden, auch um in neuen Formaten und in erweitertem Kontext aktuelle Herausforderungen und Strömungen aufzugreifen – hierzu bedarf es aber einer ausreichenden Finanzierung.
  • Die kleineren Institutionen der Stadt, auch die Museen mit historischem Auftrag, suchen verstärkt Vernetzung untereinander, um die Aufmerksamkeit für Sammlungsausstellungen und das Interesse an Sammlungsarbeit in der Öffentlichkeit zu stärken.

Raumbedarf – Atelierprogramm – Freie Projekträume

  • Der Bedarf an Räumen und die Liegenschaftspolitik, ist in Berlin zu einem zentralen Pfeiler der kulturpolitischen Herausforderungen geworden. Es gilt, bestehende Räume für Kultur und Kunstproduktion zu sichern und neue zu akquirieren. Der neue Regierende Bürgermeister und Kultursenator muss die Anliegen der Kultur im Portfolioausschuss des Liegenschaftsfonds besser positionieren, als dies sein Vorgänger getan hat – Michael Müllers Kompetenz in der Stadtentwicklungspolitik muss für die Kulturpolitik genutzt werden.
  • Neue Arbeitsweisen und neue Präsentationsformen bringen auch neuen, anderen Raumbedarf mit sich, der zur Zeit gut in den Strukturen der Freien Projekträume abgebildet ist.
  • Die modulare und temporäre Nutzung von Räumen durch KünstlerInnen könnte noch besser für Raumplanung genutzt werden – hier braucht es vor allen Dingen eine genaue Analyse des Bedarfs und eine guten Koordination. Es geht neben der Sicherung und um die Flexibilisierung von Räumen.
  • Trägermodelle in Selbstverwaltung oder Genossenschaftsmodelle sollen für die Nutzung von Gebäude in öffentlichem Eigentum erprobt werden können.
  • Das Atelierprogramm ist nur ein Bausein in der Förderpolitik für Produktionsräume. Es wird kritisiert, dass derzeit stetig öffentliche Gelder an private Immobilienbesitzer gezahlt werden, um die Mieteinnahmen zu subventionieren. Eine nachhaltige Investition in die Herstellung von Produktionsräumen braucht andere Instrumente.
  • Mit Projekträumen schaffen sich Künstlerinnen eigene Netzwerke. Von der Anzahl her erfolgen bis zur Hälfte der Berliner Ausstellungen  in den Projekträumen bzw. in der so genannten Freien Szene.
  • Der vom Senat vergebene Preis für Projekträume in Berlin ist keine Garantie für einen Erhalt und Schutz der prämierten Räume. Zu einer gezielten Förderung für Projekträume muss auch eine Infrastrukturförderung zur Abdeckung von Grundkosten und eine Entwicklungsförderung für bestimmt Projekte gehören.
  • Dezentrale Strukturen sind in der Kultur und auch in der Bildenden Kunst wesentlich. Im Gleichgewicht zwischen Land Berlin und Bezirken sind die jeweiligen Produktion und Präsentation von Kunst mit geeigneten Instrumenten zu fördern.

Künstlerförderung – Ausstellungshonorar – Neue Produktionsprozesse

  • Die Vergabe von Ausstellungshonoraren ist überfällig. Sie sind erforderlich, um den Wert von Kunstproduktion angemessen zu begleichen und das über Jahre fortgeschriebene Missverhältnis bei der Entlohnung umfangreicher Arbeitsprozesse zu beenden. Im derzeitigen Ausstellungssystem ist eine Honorierung von KünstlerInnen nicht möglich, da den Einrichtungen der dafür erforderliche Etat fehlt. Sowohl die ausstellenden KünstlerInnen als auch die KuratorInnen fordern eine adäquate Vergütung.
  • Ausstellungshonorare sind existentiell im Zusammenhang mit der Einkommensschwelle für die Künstlersozialkasse: Auch geringe Einnahmen ermöglichen den KünstlerInnen durch das System der KSK die Möglichkeit zur Sozialversicherung.
  • Berlin könnte durch mehr Zeitstipendien für Bildende KünstlerInnenden Produktionsprozesse besser fördern. (Ausbau der Produktionsstipendien) Zu berücksichtigen ist, dass die Anzahl der Leute, die Kunst produzieren, so exorbitant gestiegen, dass die alten Fördermechanismen und -instrumente dem Bedarf nicht mehr gerecht werden. Kunstförderung brauch neue Schwerpunkte und die Umwandlung von Förderinstrumenten, um neue Produktionsprozesse zu ermöglichen, die weniger an der Erstellung eines Werkes orientiert sind.
  • Es ist Zeit für eine neue Förderpolitik, die die Schranken der Genregrenzen überwindet.
  • Wir brauchen einen Dialog, der die Künste insgesamt in der Gesellschaft stärkt. Eine Förderung, die verstärkt nur über "Fördertöpfe" arbeitet, kann durch die immer wieder neue Verteilung auch einen Prozess der Entsolidarisierung mit sich bringen.

Hochschulen und Ausbildung

  • Die Hochschulen sind wesentlicher Bestandteil für die Produktion der Bildenden Kunst in Berlin. Die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts Wissenschaft und Bildung muss gestärkt werden und den Hochschulen Unterstützung in der Konkurrenzsituation mit Universitäten zukommen.
  • Eine gezielte Förderung von AbsolventInnen könnte ein sinnvolles Instrument sein.

Art Week und Festivals

  • Die Art Week trägt positiv dazu bei, dass die Aufmerksamkeit für die Bildende Kunst in der Stadt gestärkt wird. Es ist unklar, an wen die Art Week adressiert ist bzw. ob sie zukünftig auch für SammlerInnen und GaleristInnen attraktiv sein wird.
  • Die Einbeziehung von Projekträumen in die Art week muss nach transparenten Auswahlkriterien erfolgen und darf nicht allein zum Zwecke von PR Maßnahmen und Stadtmarketing genutzt werden. Die Beteiligung an Festivals und Präsentationen im Rahmen von Messen erfordert ein entsprechendes Budget und darf nicht unentgeltlich erwartet werden.
  • Bei allen Beteiligungsformaten ist die Autonomie der jeweiligen Partner zu wahren.

City Tax

  • Die Einnahmen aus der City Tax werden zum Ende des Jahres die Grenze von 25 Mio. EUR erreichen – ab diesem Betrag kann Geld in den Kulturetat fließen. Die Forderung, dass die Kunst von Anfang an von den Einnahmen aus der City Tax profitieren muss, wird bekräftigt. Wenn die Berliner Kulturszene so viel Tourismus in der Stadt fördert, dann müssen wesentliche Teile der Einnahmen aus der City Tax auch in den Kulturhaushalt fließen.

Ankauf – Dokumentation – Umgang mit Nachlässen

  • Eine mögliche Folge des postdigitalen Zeitalters, der neuen Ausstellungsformen und auch der  gewandelten Werksbegriffe ist, dass es eine Lücke in der nachhaltigen Dokumentation geben wird  wenn die Frage der Sammlungen und Archivierungen ungeklärt bleibt. Die Institutionen müssen reflektieren, wie diese Lücke aufgefangen werden kann.
  • Der Umgang mit Künstlernachlässen ist für die öffentlichen Institutionen eine Herausforderung. Sie werden oft nach schnellen Lösungen gefragt, können aber eigentlich nur einen Bruchteil an Beständen aufnehmen. Kunstfonds können nur wenige unterstützen.
  • Die Berliner Institutionen haben keinen eigenen Ankaufsetat für Kunstwerke. Ein solcher Etat ist notwendiger Baustein einer Kunstpolitik und trägt zur zukünftigen Dokumentation der Berliner Kunstszene bei. KünstlerInnen sind auf den Verkauf ihrer Werke angewiesen. Anders als bei der Erstellung der Artothek zur sozialen Künstlerförderung muss die Ankaufpolitik der Berliner Museen allerdings auf den Aufbau einer Sammlung abzielen.

Die ausführliche Dokumentation des Werkstattgesprächs können Sie im Protokoll nachlesen.

Unser herzlicher Dank gilt allen Beteiligten für ihr produktives Mitwirken und die guten Beiträge!