
Akt 1: Fokus Musik
Das zweite Werkstattgespräch zur Reform der Kulturförderung in Berlin fand am 19.5.2014 im Konzerthaus Berlin statt.
Sabine Bangert, im Gespräch mit Dietmar Schwarz und Folkert Uhde (Paten für die Sparte Musik der Werkstattreihe) und dem Gastgeber des Abends, Prof. Dr. Sebastian Nordmann.
Sowie weiteren ExpertInnen der Berliner Musiklandschaft: Michael Adick, Prof. Joël Betton, Bettina Bohle, Thomas Bruns, Bernhard Glocksin, Volker Hormann, Christian Kesten, Patrick Klingenschmitt, Dr. Hubert Kolland, Sebastian König, Elke Moltrecht, Dr. Gerhard Müller, Andreas Richter, Andreas Rochholl, Klaus Schöpp, Rainer Simon
- Welchen gesellschaftlichen und programmatischen Auftrag wollen wir für die verschiedenen Akteure der Berliner Musiklandschaft definieren?
- In welchem Verhältnis steht die Förderung von freien Ensembles und institutionell geförderten Klangkörpern?
- Wie können Kooperationsmodelle der Konzerthäuser und Opern mit Akteuren der freien Szene befördert werden?
- Soll das Modell der Konzeptförderung auch auf die Musikszene übertragen werden?
- Wie sind Ergebnisse aus jurierten Vergabeverfahren gegenüber politischen Akzentsetzungen abzuwägen?
- Welche Musikproduktion passt an welchen Ort und wie viel Flexibilität ist erforderlich?
- Wie muss eine angemessene Infrastruktur für Proben und Aufnahmen gestaltet sein?
Weitere Informationen finden Sie im Flyer zur Gesprächsreihe.
Ergebnisse
Fördervolumen und bestehende Förderstrukturen
- Voran steht die Forderung nach mehr Geld für die Kulturförderung aufgrund der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und stadtentwicklungspolitischen Bedeutung der Ressource Kultur für Berliner. Im Moment ist kein politischer Wille da, die Gesamtsumme mit erheblichen Mittel zu steigern. Es gibt auch keine Reserve mehr. Das Warten auf mehr Geld wird die Probleme aber nicht lösen, sondern die Probleme werden sich verschärfen.
- Keine Förderung ohne vorherige Klarheit über die Inhalte.
- Die Besonderheiten in den künstlerischen Wegen und der künstlerischen Autonomie der freien Szene müssen in der Förderpolitik Beachtung finden. Hier besteht die gleiche Professionalität wie in den großen Institutionen. Die zur Verfügung stehenden Fördersummen stehen in keinem Verhältnis zur Qualität und Quantität der MusikerInnen in diesem professionellen Musikbereich. Der Begriff Off-Szene/freie Szene verschleiert, dass es ein ganz heterogener Bereich ist.
- Die Grenzen zwischen freier Szene und Institutionen sind immer weniger zu erkennen – die finanzielle Situation ausgenommen. Die Akademie für Alte Musik, Kaleidoskop, Zeitgenössische Oper gelten längst als Institutionen – Institutionen mit kooperierenden Strukturen, Institutionen mit stabilen, dauerhaft zusammenarbeitender Gemeinschaft.
- Die freie Szene ist hoch professionell organisiert. Ihre Mitglieder sind Arbeitgeber, sind kleine Institutionen, die einer an Institutionen gemessenen Förderung bedürfen.
- Die Selbstverständlichkeit der Tariferhöhungen müsste adäquat auch für die freie Szene gelten, auch die Betriebskosten müssten ausgeglichen werden.
- Jazz-MusikerInnen bekommen im Vergleich eigentlich gar keine Förderung, Gagen liegen bei 20 Euro pro Abend. Das System basiert auf reiner Selbstorganisation. Wir müssen hinterfragen, warum der Jazzer sein Geld auf dem freien Markt verdienen muss und andere öffentliche Mittel bekommen.
- Wenn Fördertöpfe zusammengefasst werden, muss ein erkennbarer Mehrwert für die geförderten Projekt und Ensembles entstehen.
- In der Förderstruktur wird eine Verschmelzung von Musik mit digitaler Welt nicht abgebildet.
- Die alten Gefäße sind nur dafür geeignet das zu fördern, wozu sie einst geschaffen wurden, denn neue Impulse passen nicht rein. Derzeit bestehen zu viele Verhinderungsstrukturen. Die Fördermodelle und Strukturen sind nicht mehr zeitgemäß und völlig verstopft. Die Unterteilung nach Musiksparten ist völlig veraltet.
- Der Musikbereich braucht eine eigene Konzeptförderung analog zum dreistufigen Prinzip wie es für die darstellenden Künste besteht. Daran gebunden ist eine Aufstockung der Mittel.
- Wir brauchen eine Palette von Fördermodulen, darunter auch Projektförderung. Basis- und Spielstättenförderung kann nicht in einem Topf vereint sein. Instrumente für längerfristige Förderstrukturen fehlen, z.b. eine Konzeptförderung für Ensembles. Gebe es eine Konzeptförderung für Musik darf sie nicht abgeschottet von anderen künstlerischen Disziplinen sein sondern muss ein vernetztes Denken abbilden. Berlin sollte einen Innovationsfonds schaffen, worüber Experimente gefördert werden. Ein Topf, der offen ist, um neue Impulse aufzunehmen.
- Die Koalition der freien Szene hat aufgrund eines gewisses Misstrauens und Vertrauensverlustes gegenüber der Kulturverwaltung und dem Senat u.a. durch die jetzigen Ergebnisse für die Vergabe der City Tax den Vorschlag für einen freien Kulturfonds erarbeitet, der Mittel für Recherche-, Innovations- und Entwicklungsfonds beinhaltet und die Finanzierung für Ankerinstitution vorsieht.
- Die Durchlässigkeit in den Förderstrukturen muss gewährleistet werden und die Diversität der Akteure im Bereich Musik berücksichtigen. Noch ein neuer Fördertopf ist nicht unbedingt klug. Besser sollten die bestehenden Fördertöpfe weiter geöffnet und in eigen Facetten reformiert werden.
- Der Etat der institutionell geförderten Häuser beinhaltet zu wenig Programmmittel für freie Projekte. Die Landesmittel werden für Personal gebraucht oder werden in den vom Haus erwarteten eigenen Neuproduktionen verbraucht. Die Häuser haben keine Spielräume mehr.
Künstlerischer Auftrag
- Die KünstlerInnen sind verantwortlich, ihren individuellen Auftrag für sich zu definieren. Dieser Auftrag muss gegenüber den politisch Verantwortlichen kommuniziert sein, muss aber auch Spielraum lassen für künstlerische Freiheit.
- Es gibt immer eine Unterscheidung zwischen einem visionären Konzept und dem, was sich die Institutionen finanziell leisten können. Es wäre eine Befreiung zu sagen, was wollen wir mit Musik in dieser Stadt und nicht über die Fördertöpfe zu diskutieren.
- Mittel- und langfristig müssen wir darüber nachdenken, wie sich Institutionen weiterentwickeln. Es geht um eine grundlegende Diskussion, was die Zukunft der Stadt, der Gesellschaft und der Musikstadt Berlin ist. Was ist 2030 relevant, wo kommt das Publikum her?
- Es besteht die Forderung nach einer klaren kulturpolitischen Zielsetzung. (Das Hauptproblem ist das Nicht-Definiert-Sein.) Was machen die Akteure und was wollen wir? Hier müssen politische Impulse gesetzt werden.
- Land Berlin und der Bund müssten bei der Auftragsstellung gemeinsam und abgestimmt agieren, was sie aber nicht tun. Die Berliner sehen sich nur für das verantwortlich, was vom Land bezahlt wird. Es wird nicht mit dem gesamten Pfund an Kultur gewuchert, was man in der Stadt hat.
- Die digitale Generation bietet eine Herausforderungen, für das, was es zu tun gibt. Die Stadt ist voller Ideen, die in einen Masterplan einzubringen sind.
- Wir müssen kritisch prüfen welche gesellschaftlichen Gruppen an der Festlegung der Kulturagenda und einer Wertediskussion partizipieren und wer seit Jahren nicht einbezogen wird. Welche Veränderungen ergeben sich in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft? Welche Rolle spielt bei der Beantwortung der Fragen die individuelle Ausbildung?
- Es ist Aufgabe der freien Szene, das künstlerische Material neu zu hinterfragen, Parameter zu hinterfragen und Themen anders zu setzen. Wir müssen uns im Alltag fragen, wo Musik heute richtig ist, wo Partizipation und Teilhabe stattfindet.
- Die Situation im Musikbereich ist so, dass das Werk sehr im Vordergrund steht. Eine Betrachtung von Musik als Material muss viel stärker möglich sein. Beides braucht Raum. Derzeit kann nichts entstehen. Es gibt keinen Spielraum für eine Unternehmung, mit der man als Kulturschaffender Mut beweisen kann. Die Ensembles fangen an, ihre Anträge an die Förderstrukturen anzupassen. So können keine starken Visionen entstehen, dafür braucht man komplett andere Förderstrukturen.
- Oper ist kein in sich geschlossenes System. Es ist mittlerweile flexibler geworden und hat sich geöffnet.
- Es gibt den Vorschlag, mit den Institutionen Zielvereinbarungen zu vereinbaren.
- Die großen Institutionen machen vielleicht genau die gleichen Prozesse mit wie die freie Szene. Sie haben den Auftrag eine gewisse Grundversorgung zu leisten und das Ensemble, die Orchester und Chöre in den Konzertprogrammen einzusetzen.
- Der Rundfunk Berlin Brandenburg zeigt zu wenig Interesse an der Diversität der Berliner Musikszene und biete keine Sendezeiten für Beiträge und Konzertausstrahlungen in vielzähligen Genres wie u.a. dem Jazz. Daher besteht der Wunsch, dass die freie Szene einen Sitz im Rundfunkrat erhält.
- Die Erfahrungen aus der Lehrerbildung zeigen das Problem der Trennung von Kunst und Schulbildung. Kunst gehört nicht mehr zum Bildungsauftrag in Berlin. Die Erfahrungen mit Kunst erfolgt über youtube, evtl. wird noch ein Konzert besucht. Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen der Kunstbildung und den Schulen.
Juryentscheidungen und Evaluation
- Es ist richtig, dass Jurys über die Fördermittelvergabe entscheiden und nicht die Politik. Juryverfahren sind eine Art von Wettbewerb, sie sind immer subjektiv, aber das System an sich ist gut. Problematisch ist in Berlin, dass aufgrund des aktuellen Haushaltszuschnitts aber nur Mittel für die Hälfte der Notwendigkeiten von der Jury vergeben werden können.
- Evaluation muss für alle gelten und die richtigen Parameter beinhalten, nicht nur ein manipulierbares Zahlenwerk, sondern eine individuelle Betrachtung einzelner Projekte ermöglichen, wodurch letztlich Impulse zum Ausprobieren gewährt werden.
- Verweis auf Evaluationsforschung: Die Ergebnisse liegen auf der Hand, spielen aber im politischen Diskurs keine Rolle: Ich gehe ins Konzert heißt nicht, ich gehe zur Saisoneröffnung der Berliner Philharmoniker.
- Aus den Evaluationsergebnissen müssen Konsequenzen folgen, ggf. auch Etataufstockungen. Leider werden die Ergebnisse der Evaluation nur von wenigen KulturpolitikerInnen gelesen und politische Entscheidungen folgen anderen Interessen.
- Kommerzieller Erfolg von künstlerischen Gruppen oder Projekten kann nicht als Kriterium für Streichung der Fördermittel gelten.
- Wenn über Jahre eine Förderung aus den immer gleichen Fonds wie z.B. dem HKF erfolgt, müssten kulturpolitische Konsequenzen für eine strukturelle Förderanpassung erfolgen und die sogenannte "Verstopfung" der kommunizierenden Röhren aufgelöst werden.
Hürden für die Aufführungspraxis – Chancen für Kooperation
- In Berlin besteht eine der weltweit größten Jazzszenen. Aber es gibt fast keine Orte, an denen die MusikerInnen auftreten können.
- Institutionell geförderte Häuser können der freien Szene Räume und Marketing anbieten aber keine Konzertgagen.
- Kooperation sollte anerkennt werden und nicht "bestraft" wie im Fall der jüngsten Juryentscheidungen zur Basisförderung im Bereich Musik. Einbindungen in Festivals dienen einer Stabilisierung der Arbeit und sollten kein Grund für eine Streichung von Fördermitteln sein.
- Kooperationen mit der freien Szene sind durchaus auch heikel für die Institutionen. Wir müssen klären, wie sehr wir die freie Szene an die großen Häuser andocken wollen und welchen finanziellen Spielraum die Häuser dafür haben/bekommen.
- Programme wie "Doppelpass", das von der Bundeskulturstiftung gefördert wird, bietet für Kooperation ideale Bedingungen: Die freie Gruppe kann zwei Jahre auf die Infrastruktur des Partnerhauses zurückgreifen, auf das, was schon öffentlich finanziert ist. So besteht die Möglichkeit, zwei Jahre im Haus gewisse experimentelle Fragen zu stellen und den normalen Probenprozess aufzubrechen.
- Notwendig ist die Gründung eines "Hauses der Musik", u.a. für den Jazz Bereich als Produktionshaus.
- Wir müssen einer Abwanderungstendenz entgegenwirken, weil man in Berlin die Projekte nicht umsetzen kann.
Dialog und Kommunikation
- Die Musikszene agiert relativ vereinzelt, und es gibt keinen starken Dachverband, der hier Interessen bündelt oder kanalisiert.
- Es braucht Foren für einen kulturpolitischen Diskurs mit Politik und Verwaltung. Die MacherInnen von Kultur sollten hier mit ihrem ExpertInnenwissen einbezogen werden.
- Politik kann und soll Struktur geben, was das Leitbild für diese Stadt ist, die zur Hälfte aus Zuwanderern besteht. Derzeit sind die Strukturen nicht ideal, und es ist unklar, wo es hingehen soll. Bei der Gestaltung von Marketing und öffentlichem Raum muss Kultur mitgedacht werden. Dazu gilt es die Expertise von den MacherInnen einzuholen.
- Es braucht eine Begleitung und vor allem einen Dialog während des Prozesses in der Netzwerkfindung sowie beim Erproben neuer künstlerischer Formate. Das Weiterführen erfolgreicher Programme wäre erst der nächste Schritt. In der Wirtschaft würde sich niemand diesen Verschleiß von Ressourcen leisten.
Die ausführlichen Ergebnisse können Sie im Protokoll zur Veranstaltung nachlesen.
Wir danken allen Beteiligten des Werkstattgesprächs für Ihre konstruktiven Beiträge!